Rechtsanwälte GRÄNING & KOLLEGEN

Der BGH gewährt dem biologischen Vater ein Umgangsrecht

Veröffentlicht am 03.01.2017

Endlich – so ist man versucht zu sagen – erhält auch der biologische Vater ein Umgangsrecht mit seinem Kind, wenngleich auch der rechtliche Vater mit dem Kind zusammen lebt!

Nach bisher in Deutschland herrschender Rechtslage war einem biologischen Vater der Umgang mit seinem außerehelich gezeugten Kind dann verwehrt, wenn er nicht mit dem Kind in einer sozial-familiären Beziehung lebt und die rechtlichen Eltern ihm den Umgang nicht gestatteten. Als rechtlicher Vater gilt der Mann der Kindesmutter, der zur Zeit der Geburt des Kindes mit ihr verheiratet ist (§ 1592 Nr. 1 BGB).

Ein biologischer (leiblicher) Vater erstritt sein Umgangsrecht in einem zehn Jahre andauernden Rechtstreit letzten Endes mit Hilfe des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR).

Die Ausgangslage:

Die Kindesmutter, eine verheiratete Frau, pflegte mit dem aus Nigeria stammenden Kläger in den Jahren 2004/2005 ein außereheliches Verhältnis. Ende 2005 wurden die aus dieser Beziehung stammenden Zwillinge geboren. Bereits seit August 2005 lebte die Kindesmutter wieder mit ihrem Ehemann, mit dem sie bereits drei gemeinsame Kinder hatte, zusammen.

Die Zwillinge wurden in dieser Familie (einer sog. sozial-familiären Beziehung) aufgezogen. Seit Geburt der Zwillinge hatte der biologische Vater, der mittlerweile seit 2008 in Spanien lebt, vergeblich die Einräumung eines Umgangsrechtes mit den Kindern begehrt. Die Kindesmutter und ihr Ehemann als der rechtliche Vater verweigerten dieses.

Rechtslage:

Im Januar 2006 beantragte der Kindesvater erstmalig vor Gericht die Einräumung eines Umgangsrechtes mit den Zwillingen. Das von ihm angerufene Familiengericht räumte ihm nach drei Verhandlungen schließlich mit Beschluss vom 27.09.2006 ein Recht auf Umgang mit den Zwillingen für eine Stunde im Monat ein, zunächst im Beisein einer dritten Person und der Kindesmutter oder ihrem Ehemann, wenn diese dies wünschten. Das Familiengericht hatte festgestellt, dass der Antragsteller eine enge Bezugsperson der Kinder sei, auch wenn er bislang keine Möglichkeit gehabt habe, seiner Verantwortung nachzukommen. Es war ferner der Ansicht, dass der Umgang des biologischen Vaters dem Kindeswohl diene und berief sich dabei auf den von ihm hinzugezogenen psychologischen Sachverständigen. Gerade wegen ihrer afro-deutschen Herkunft sei eine Beziehung zu ihrem leiblichen Vater wesentlich, um ihre Wurzeln kennen zu lernen, eine Identifikationsbildung zu ermöglichen, Ihr Anderssein zu verstehen und ein gesundes Selbstbewusstsein zu entwickeln. Auch dürfe das Umgangsrecht des leiblichen Vaters nicht länger aufgeschoben werden, zumal ein offener Umgang mit den Realitäten auch zum Wohle den anderen Kindern in der Familie wäre.

Die Kindesmutter und ihr Ehemann legten Beschwerde gegen diese Entscheidung ein. Das Oberlandesgericht Karlsruhe lehnte das begehrte Umgangsrecht mit der Begründung ab, dass ein Umgangsrecht des biologischen Vaters, der nicht in einer sozial-familiären Beziehung zu den Kindern gestanden habe oder stehe, nicht vorgesehen sei (OLG Karlsruhe, Urteil vom 12.12.2006, 2 UF 206/06). Vorrang habe die rechtliche und gelebte Eltern-Kind-Beziehung. § 1684 BGB (Umgang des Kindes mit den Eltern) beziehe sich nur auf die Berechtigung des rechtlichen Vaters, bei dem die Zwillinge leben. Zudem habe der leibliche Vater auch kein Umgangsrecht aus § 1685 BGB (Umgang des Kindes mit anderen Bezugspersonen), weil er bislang keine Verantwortung für die Kinder getragen und damit keine sozial-familiäre Beziehung zu ihnen habe. Ein Elternrecht ergebe sich aus Art. 6 Abs. 2 des Grundgesetzes (Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht) für den leiblichen Vater auch nicht, insbesondere weil das Nebeneinander von zwei Vätern nicht der Vorstellung von elterlicher Verantwortung entspreche. Zudem schütze dieses Grundrecht die Beziehung des leiblichen Vaters zu seinem Kind nur, wenn zwischen ihnen bereits eine soziale-familiäre Beziehung bestehe; es komme nicht darauf an, aus welchem Grund eine solche Beziehung nicht besteht. Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) erfordere keine andere Auslegung. Das OLG ging davon aus, dass der leibliche Vater bei einem Versagen des Umgangsrechtes nach Nigeria abgeschoben werden würde, da er keine Aufenthaltserlaubnis habe. Es sei nahezu ausgeschlossen, dass die Kinder ihn zu einem späteren Zeitpunkt kennen lernen könnten. Der rechtliche Vater würde in tatsächlicher Hinsicht die Vaterrolle ausfüllen, so dass der rechtlichen und gelebten Elternbeziehung der Vorrang vor der allein auf Abstammung beruhenden Vaterbeziehung einzuräumen wäre.

Der Antragsteller legte hiergegen erfolglos Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG, Beschluss vom 29.03.2007, 1 BvR 183/06) mit der Begründung ein, dass die Versagung des Umgangsrechtes mit seinen Kindern gegen sein Recht auf Achtung des Familienlebens verstoße.

Schließlich rief der leibliche Vater den EGMR an und dieser zeigte Verständnis für sein Begehr.

Mit Urteil vom 21.12.2010 (20578/07) stellte der EGMR fest, dass die Versagung jeglichen Umgangs ohne Prüfung des Einzelfalles und der Frage, ob ein solcher Umgang dem Kindeswohl dienlich wäre, eine Verletzung von Art. 8 EMKR darstellt. Nach Absatz 1 des Art. 8 EMRK hat jede Person das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens. Er erinnerte daran, dass sich der Begriff des „Familienlebens“ nach Art. 8 der Konvention nicht auf eheliche Beziehungen beschränkt und auch andere faktische „familiäre“ Bindungen erfassen kann. „In der Regel ist das Zusammenleben eine Voraussetzung für eine Beziehung, die einem Familienleben gleichkommt. Ausnahmsweise können auch andere Faktoren als Nachweis dafür dienen, dass eine Beziehung beständig genug ist, um faktische ‚familiäre Bindungen‘ zu schaffen.“ Auch ein beabsichtigtes Familienleben könne ausnahmsweise unter Art. 8 fallen, und zwar vor allem dann, wenn der Umstand, dass das Familienleben noch nicht vollständig hergestellt war, nicht dem Umgangsbegehrenden zuzurechnen war. Maßgeblich dafür sei die Beziehung zwischen den leiblichen Eltern sowie das nachweisbare Interesse an dem Kind und das Bekenntnis zu ihm seitens des leiblichen Vater sowohl vor als auch nach der Geburt.

Vorliegend sei die Beziehung des leiblichen Vater zu den Kindern nicht ausreichend beständig, um als bestehendes „Familienleben“ eingestuft werden zu können. Allerdings sei der Umstand, dass das Familienleben nicht hergestellt werden konnte, nicht dem Beschwerdeführer zuzurechnen. Es stehe fest, dass der Beschwerdeführer der leibliche Vater der Kinder ist. Diese natürliche Bindung ist unabänderlich, auch wenn das Kind tatsächlich in eine andere Familie sozial und rechtlich eingebunden ist. Die tatsächliche Bindung aus praktischen und rechtlichen Gründen aber wird von der Kindesmutter und deren Ehemann bestimmt. Diese haben das Recht, über den Umgang mit anderen Personen zu bestimmen. Sie lehnten wiederum seine Bitten auf Umgang ab. Darüber hinaus kann der leibliche Vater nach deutschem Recht weder die Vaterschaft anerkennen, noch die Vaterschaft des Ehemannes anfechten, um der rechtliche Vater der Zwillinge zu werden. Somit kann ihm der Umstand der nicht vorhandenen gefestigten Familienbeziehung nicht vorgeworfen werden. Der leibliche Vater, so die gerichtlichen Feststellungen, hatte bereits vorgeburtlich seinen Umgangswunsch geäußert und auch nach der Geburt diesen Wunsch wiederholt gegenüber dem Ehepaar kund getan. Er strebte zudem unverzüglich nach der Geburt eine gerichtliche Umgangsregelung an. Dieses Verhalten zeigt sein nachhaltiges Interesse an seinen Kindern. Auch hätten die Kindesmutter und der Beschwerdeführer eine Beziehung von ungefähr zwei Jahren gehabt.

Der EGMR stellte fest, dass das OLG dem biologischen Vater den Umgang mit seinen Kindern versagt, ohne die Frage zu prüfen, ob ihr Umgang dem Wohle der Kinder dienen würde. Diese Kindeswohl-prüfung hatte das OLG nach deutschem innerstaatlichem Recht angesichts der „sozial-familiären Beziehung“ des rechtlichen Vaters zu den Kindern auch nicht vorzunehmen. Es erkennt, dass auch die bestehenden Familienbanden zwischen den Ehepartnern und den Kindern sowie den gemeinsamen Kindern der Eheleute schutzwürdig sind. Die innerstaatlichen deutschen Behörden hätten sich hier um einen fairen Ausgleich aller Interessen bemühen müssen. Der EGMR sei nicht überzeugt, dass die deutschen Gerichte einen fairen Ausgleich der widerstreitenden Interessen erreichten, der ihren Eingriff im Sinne von Art. 8 Abs. 2 der Konvention zu rechtfertigen. Es sei Aufgabe der innerstaatlichen Gerichte, in Ausübung ihres Ermessens festzustellen, ob der Umgang zwischen dem biologischen Vater und seinen Kindern dem Wohle der Kinder dient. Das habe das OLG nicht getan.

Die Gründe der deutschen Gerichte für die Versagung des Umganges des Beschwerdeführers mit seinen Kindern waren nicht „ausreichend“ im Sinne des Art. 8 Abs. 2. Der Eingriff in sein Recht auf Achtung seines Privatlebens war daher nicht „in einer demokratischen Gesellschaft notwendig.“

Im März 2011 beantragte der leibliche Vater erneut eine Umgangsregelung. Das Amtsgericht Baden-Baden ordnete wiederum durch Beschluss vom 08.03.2013 (6F 80/11) einen monatlichen, begleiteten Umgang an, das OLG Karlsruhe wies auf die Beschwerde der rechtlichen Eltern den Umgangsrechtsantrag mit Beschluss vom 01.06.2015 (20U 63/13) zurück.

Das Urteil des EGMR veranlasste den deutschen Gesetzgeber zur Einführung des neuen § 1686a BGB. Gemäß § 1686a Abs. 1 Nr. 1 BGB hat der leibliche Vater, der ein ernsthaftes Interesse an dem Kind zeigt, ein Recht auf Umgang mit dem Kind, wenn der Umgang dem Kindeswohl dient. Gemäß § 1686a Abs. 1 Nr. 2 BGB hat er darüber hinaus ein Recht auf Auskunft von jedem Elternteil über die persönlichen Verhältnisse des Kindes, soweit er hieran ein berechtigtes Interesse hat und dies dem Kindeswohl nicht widerspricht. Diese Neuregelung ist mit Wirkung vom 13.07.2013 in das BGB eingefügt worden.

Der BGH nun hat auf die Rechtsbeschwerde des leiblichen Vaters die Entscheidung des OLG mit Beschluss vom 05.10.2016 (XII ZB 280/15) aufgehoben.

Er stellte fest, dass das OLG nur unzureichende Ermittlungen angestellt hatte. Das folgt bereits daraus, dass sich die Eltern geweigert hatten, die Kinder über ihre wahre Abstammung zu unterrichten. Die vom Gericht beauftragten Sachverständigen haben deshalb den Kindern vorgetäuscht, dass das Gutachten im Rahmen einer Zwillingsforschung erstellt werde und das Gericht hatte zudem die dann bereits 9 jährigen Kinder nicht angehört. Der Senat entschied in diesem Zusammenhang, dass nicht nur das Familiengrundrecht aus Art. 6 Abs. 1 GG, sondern auch das von Art. 6 Abs. 2 GG geschützte Elternrecht, über die Information des Kindes hinsichtlich seiner Abstimmung zu bestimmen, grundsätzlich in den Fällen eingeschränkt ist, in denen der leibliche Vater ein Umgangsrecht begehrt.

Weigern sich die Eltern, das Kind über seine wahre Abstammung aufzuklären, steht es im Ermessen des Tatrichters, in welcher Art und Weise er für eine entsprechende Information des Kindes Sorge trägt. Ist einziger Grund für das Scheitern des Umganges die ablehnende Haltung der rechtlichen Eltern, weil diese eine psychische Überforderung des Kindes und damit eine Beeinträchtigung des Kindeswohles fürchten, sind strenge Anforderungen an entsprechende Feststellungen zu treffen.

Fazit:

Das Gericht hat vor einer Entscheidung nach § 1686 a BGB immer zu prüfen:

● Stellt der Umgang mit dem biologischen Vater für das Kind eine seelische Belastung dar?

● Wird das Kind durch das Umgangsrecht in einer dem Kindeswohl schadenden Weise verunsichert?

● Können mögliche Konflikte zwischen der Kindesmutter und dem biologischen Vater die Entwicklung des Kindes beeinträchtigen?

● Wie ist der Umgang im Interesse einer gesunden Persönlichkeitsentwicklung und Identitätsfindung des Kindes zu bewerten?

Unverzichtbar ist dabei die Anhörung des Kindes durch das Gericht.

Quellen: Mitteilung der Pressestelle des BGH Nr. 194/2016 vom 03.11.2016

BMJV: Rechtssache A. gegen Deutschland (Individualbeschwerde Nr. 20578/07),

Strassburg- Urteil vom 21.12.2010

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