Rechtsanwälte GRÄNING & KOLLEGEN

Besteht Mitverschulden, wenn keine Motorradstiefel getragen werden?

Veröffentlicht am 14.08.2017

Da Motorrad fahren gefährlich ist, fordert § 21 Abs. 2 StVO das Tragen eines geeigneten Schutzhelms während der Fahrt für Führer eines Kraftrades mit einer bauartbedingten Höchstgeschwindigkeit von über 20 km/h. Dies gilt auch für den Mitfahrer.

Ist aber auch das Tragen von Schutzkleidung und hier insbesondere das Tragen von Motorradstiefeln gesetzlich vorgeschrieben?

Dazu sagt § 21 a StVO nichts.

Das OLG München hatte in einem Fall zu entscheiden, bei dem es um eine Haftungsfrage ging anlässlich eines Zusammenstoßes zwischen einem Motorrad, dessen Fahrer nur Turnschuhe trug, und einem Pkw.

In diesem Fall konnte der Unfallhergang nicht aufgeklärt werden. Keine der beiden Seiten konnte der jeweils anderen Seite weder eine Schuld nachweisen, noch beweisen, dass dort eine vom eigenen Fahrzeug ausgehende allgemeine Betriebsgefahr einen erhöhten Verur-sachungsbeitrag geleistet hätte.

Es stellte sich sodann die Frage, ob der Kradfahrer, der nur einen Helm aber keine weitere motorradtypische Schutzbekleidung, also auch keine Motorradstiefel, trug, sich ein Mitverschulden anrechnen lassen musste.

In der 1. Instanz hatte das Gericht ein solches Mitverschulden i.S.d. § 9 StVG auf Seiten des Kradfahrers gesehen. Hat nämlich bei der Entstehung eines Schadens ein Verschulden des Geschädigten mitgewirkt, so hängen Verpflichtung und Umfang des zu leistenden Ersatzes des Schadens davon ab, inwieweit dieser Schaden auch von dem anderen Teil verursacht worden ist (§ 254 Abs. 1 BGB). Diese Mitverursachung sah das erstinstanzliche Gericht darin, dass der Motorradfahrer keine Motorradstiefel trug.

Anders indes sah es das OLG München. Gemäß § 21 a StVO gibt es lediglich eine gesetzliche Helmtragungspflicht. Eine darüber hinausgehende Pflicht, insbesondere Motorradschutzkleidung oder Motorradstiefel zu tragen, sieht dieses Gesetz nicht vor.

 

Allerdings, so das OLG München, kommt eine Anspruchsverkürzung möglicherweise auch i.S.d. § 9 StVG i.V.m. § 254 Abs. 1 BGB in Betracht, wenn der Verletzte die Sorgfalt außer Acht lässt, die ein ordentlicher und verständiger Mensch zur Vermeidung eines Schadens anzuwenden pflegt.

Bei dieser Frage kommt dann das allgemeine Verkehrsbewusstsein in den Blickpunkt. Das OLG München befand, dass zwar festere Schuhe grundsätzlich auch einen besseren Schutz bieten als leichte Schuhe. Alleine diese Erkenntnis reicht aber noch nicht aus, um die hier streitige Frage zu klären. Es gibt dazu keine belastbaren Zahlen, die belegen, dass es dem allgemeinen Verkehrsbewusstsein zum Zeitpunkt des Unfalles entsprochen hätte, dass ein Fahrer eines leichten Kraftrades innerhalb geschlossener Ortschaften Motorradstiefel zu tragen habe.

Das OLG stützt sich auf eine amtliche Statistik der Bundesanstalt für Straßenwesen aus dem Jahre 2012 (im Nov. 2012 hatte sich der Unfall ereignet). Danach trugen wohl 53 % aller motorisierter Zweiradfahrer zusätzlich zum Helm weitere Schutzkleidung. Aber eine komplette Schutzkleidung trugen nur 21 %.

Daher schlussfolgerte das OLG München: Aufgrund der Statistik lässt sich nicht hinreichend verlässlich beantworten, ob es am Unfalltage dem allgemeinen Verkehrsbewusstsein entsprach, mit einem leichten Kraftrad innerhalb einer Ortschaft nur mit Motorradstiefeln zu fahren. Somit konnte im vorliegenden Fall eine erhöhte Verantwortung des Kradfahrers nicht erkannt werden, ebenso kein Mitverschulden, das er sich anrechnen lassen musste. Aus diesem Grunde war die Haftung zwischen Auto- und Kradfahrer deshalb im Verhältnis 50:50 zu verteilen.

(siehe OLG München, Urteil vom 19.05.2017, 10 U 4256/16 aus Haufe Online-Redaktion)

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